Kybernetik - was ist das?Kybernetik

Eine verständliche Einführung

Von Fleischbrocken und elektronischen Schaltungen

Was sich nun bis zum Ende dieses Kapitels abspielen wird, mag für den einen oder anderen unserer Leser vielleicht nicht ganz leicht verständlich sein. Denn es ist von elektrischen Impulsen und ähnlichen unliebenswürdigen Erscheinungen der Physik die Rede. Wir könnten nun weit ausholen und einen Grundlehrgang in Elektrizität und Schalttechnik vor Ihnen ausbreiten - aber es wäre eigentlich schade um den Platz.
Machen wir es lieber so: Wer auf Grund seiner Vorkenntnisse oder seiner besonders fix schaltenden Denkanlage ohne Schwierigkeiten mitkommt, der ist herzlich eingeladen, uns zu dem nun folgenden, besonders hübschen Beispiel kybernetischer Praxis zu begleiten.
Wer aber einfach keine Lust hat, seine kleinen grauen Gehirnzellen zu strapazieren, der nimmt die Abkürzung und klickt weiter zum Kapitel "Der Idiot kann alles". Dort treffen wir uns dann wieder.
Einverstanden?
So. Für die Mutigen kommt nun Pawlows Hund als elektronische Schaltung.
Was verlangen wir von ihr? Sie soll auf einen eingehenden elektrischen Impuls Fl (er entspricht dem Fleischbrocken, den man dem Hund vorhält) einen Impuls Ms abgeben, der den Magensaft fließen läßt. Sie soll sich, wenn ein weiterer Impuls Gl ( = Glocke) ankommt, zunächst nicht beirren lassen, soll aber gleichzeitig lernen, dass auch dieser Impuls wichtig ist. Und dann soll sie später allein auf Impuls GI den Impuls Ms weitergeben.
Sind wir soweit einig? Dann wollen wir die Schaltung einmal aufzeichnen:

Kybernetik - Pawlows Hund

Die Und- und Oder-Schaltungen erkennen Sie wohl wieder, aber mit dem Ding, das da "Schieberegister" heißt, können Sie noch nichts anfangen. Nun, das ist einfach eine Art von Vorratskammer, ein Speicher, durch den elektrische Impulse hindurchwandern. Und zwar rückt der ganze Vorrat von Impulsen, der im Schieberegister steckt, jeweils um ein Fach nach vorne, sobald von hinten ein neuer Impuls hinzukommt. Die Impulse schieben sich gewissermaßen auf Druck von hinten durch das Register wie beim Wurstmachen die Fülle durch den Kunstdarm.
Schön. Füttern wir das Hundchen!
Erster Versuch: Der Impuls Fl kommt an. Er teilt sich gleich am Eingang der Schaltung. Ein Teil von ihm saust nach &1, richtet dort aber nichts aus, denn es fehlt ja ein zweiter Impuls, der diese Und-Schaltung erst ansprechen ließe. Die andere Hälfte des FI-Impulses läuft zur Oder-Schaltung V und bringt dort ganz ordnungsgemäß den Impuls Ms zuwege. Unser Kunsthund sondert also Magensaft ab, sobald er das Fleisch riecht.
Zweiter Versuch: Zum Impuls FI wird Impuls GI eingegeben. Auf deutsch: Man hält Waldmann das Fleisch vor und läutet gleichzeitig das Glöckchen. Ein Teil von Impuls Fl läuft brav los, zwängt sich durch die Oder-Schaltung und kommt als Ms ans Tageslicht - Waldmann reagiert schön und läßt den Magensaft fließen. In Ordnung. Gleichzeitig trifft aber der zweite Teil des Impulses Fl an der Und-Schaltung &1 auf den Impuls Gl. Beide zusammen dürfen &1 passieren. Sie bilden nun einen gemeinsamen Impuls, der ins Schieberegister vordringt.
Weiter geschieht zunächst nichts - aber Weidmann hat etwas gelernt. Er weiß es nur noch nicht.
Was eben vor sich ging, wiederholt sich nun mehrmals. Impuls Fl und Impuls Gl kommen stets zusammen an und begeben sich durch &1. Allmählich füllt sich das Schieberegister, nach und nach stabilisiert sich der bedingte Reflex. Irgendwann ist das Schieberegister proppenvoll. Jetzt ist der Lernvorgang beendet. Man kann ruhig weiter beide Impulse Fl und Gl gleichzeitig einsetzen - es geschieht nichts Neues mehr. Das Schieberegister bekommt hinten weitere Impulse hineingeschoben und gibt dafür vorne welche ab. Sie treffen bei &2 mit Teilimpulsen von Gl zusammen, marschieren gemeinsam zur Oder-Schaltung und bewirken dort nichts, was Impuls Fl nicht auch vermöchte; Der Magensaft läuft.
Was aber ereignet sich, wenn man Impuls Fl wegläßt und nur noch Impuls Gl eingibt - also das Fleisch spart und lediglich die Glocke lauten läßt?
Ganz einfach: Impuls Gl teilt sich; eine Portion läuft zur ersten Und-Schaltung, richtet dort aber nichts aus, weil der Partner fehlt. Der andere Teil saust zur zweiten Und-Schaltung. Dort liegt aber bereits ein Impuls aus dem Schieberegister an. Beide zusammen werden durchgelassen, begeben sich spornstreichs zur Oder-Schaltung und bewirken einen Impuls Ms. Allein die Glocke hat genügt, um den Magensaft in Aktion zu setzen! Fein, was?
Natürlich ist diese Schaltung noch relativ simpel. Man kann sie wesentlich verfeinern, kann die Dauer des Lernvorgangs variieren oder den elektronischen Hund dazu bringen, dass er alles wieder vergißt.
Man könnte es auch so einrichten, dass der Reflex nach und nach außer Funktion tritt, dass er sich abstumpft. Das wäre zwar die komplizierteste, aber ganz sicher die naturgetreueste Schaltung.
Denn auch der lebendige Waldmann wird sich zweifellos nach einiger Zeit, die ihm nur Glockengeläut, aber kein Fleisch eingebracht hat, fragen: Bin ich denn doof?

Kybernetik - Pawlowscher Reflex

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