Von Und-Schaltungen und Oder-Schaltungen
Jeden Autor macht es nervös, wenn er weiß: mit diesem Kapitel wirst du dir keine Freunde gewinnen!
So geht's uns jetzt. Wir sind zwei Autoren, also doppelt nervös. Es handelt sich nämlich darum, dass wir Ihnen erklären wollen, warum auch ein Küchenwecker intelligent ist. Ganz zu schweigen von Radioapparaten, Badewannenboilern, Elektronenrechnern und Treppenhausbeleuchtungen. Vielleicht nicht ganz so intelligent wie Sie, lieber Leser - aber immerhin.
Wie soll dieser Versuch ausgehen, ohne dass Sie uns unser eigenes Buch um die Ohren hauen?
Das Hauptproblem, dem wir uns im Augenblick gegenübersehen, liegt darin, dass der Mensch so furchtbar stolz darauf ist, intelligent zu sein, und dass er so gerne hört, er sei das einzige Wesen dieser Erde, das intelligent ist. Warum ist er nicht stolz darauf, auf zwei Beinen zu gehen oder sprechen zu können, Kunstverstand zu besitzen, Winnetou zu lieben oder kochen zu können? Nein, es muss die Intelligenz sein, mit der er vor allen anderen lebenden und toten Geschöpfen dieser Welt brillieren möchte.
Dummerweise bildet er sich diese Vorzugsstellung aber nur ein. Und ausgerechnet auf die Intelligenz brauchen sich die meisten von uns gar nichts einzubilden. Stimmt's etwa nicht?
Intelligenz, so lasen wir neulich in einem klugen und wissenschaftlich hochstehenden Buch, sei geistige Kraft; insbesondere handle es sich hier um Kombinations- und Urteilskraft und die Fähigkeit, sich zweckmäßig auf neue Lebensbedingungen einzustellen.
Intelligenz, so lasen wir es anderswo in einem nicht weniger qualifizierten Werk, sei schnelles Auffassungs- und Denkvermögen.
Intelligenz, so lasen wir es schließlich an dritter kompetenter Stelle, sei die Fähigkeit, konkrete und abstrakte Probleme zu lösen.
Nun gut. Mit Hilfe einer Handvoll verständnisvoller Zoologen könnten wir wohl nachweisen, dass alle diese schönen Gaben auch in der Tierwelt vorhanden sind. Vielleicht nicht in solch gedrängter, überwältigender Ballung wie bei Ihnen, lieber Leser - aber immerhin.
Sind also die Tiere intelligent?
Die Dame, die ihren Pudel zärtlich liebt, und der Reiter, der sein Pferd für ein Wundertier hält, werden ausrufen: Natürlich sind sie intelligent! (Wobei der Gerechtigkeit halber vermerkt werden muss, dass die Katze, was Intelligenz betrifft, den Hund und gar das Pferd um etliche Längen schlägt.)
Wenn man aber schon einem Tier gestattet, in das Naturschutzgebiet des Menschen - den Alleinvertretungsanspruch auf Intelligenz - einzubrechen, warum dann nicht auch der Maschine? Diese Frage wird Ihnen vielleicht sehr respektlos erscheinen. Aber haben Sie schon von Elmer und Elsie gehört?
Elsie und Elmer sind Geschöpfe eines sehr fleißigen Wissenschaftlers namens W. Grey Walter. Stellen Sie sich ein Spielzeugauto vor, das vorwärts, rückwärts und auch seitwärts fahren kann. Nichts Besonderes, oder? Nun lassen Sie sich ferner erzählen, dass dieses Gefährt ringsum elektrische Kontakte hat. Sobald es auf seinem Weg einen Gegenstand berührt, schaltet der Motor um; das Ding bewegt sich zurück und gleichzeitig seitwärts, um es dann von neuem in der alten Richtung nach vorn zu versuchen. Es ist auf diese Weise imstande, ein Hindernis zu umgehen.
"Auch nichts Besonderes» sagen Sie? Das hat man schon bei Kinderspielzeug der gehobenen Preisklasse gesehen? Sie haben recht.
Nun hat Mister Walter seinem Wägelchen aber außerdem noch eine Fotozelle aufs Dach gesetzt. Wissen Sie, was das ist? Ein empfindliches Instrument, wie man es in den elektrischen Belichtungsmessern beim Fotografieren hat. Es registriert die Stärke des Lichteinfalls.
Mit dieser Fotozelle koppelte Walter den Motor. Und zwar so, dass das kleine Fahrzeug, wenn es irgendwo eine Lichtquelle erspäht, dorthin fährt, wo die Lichtintensität zunimmt. Es nähert sich also der Lampe. Irgendwann aber tritt eine zusätzliche Schaltung in Aktion: wenn die Lichtstärke eine bestimmte Schwelle überschreitet, rollt das Wägelchen zurück und seitwärts - wie beim Umgehen eines Hindernisses.
Was passiert, wenn man sich solch ein Apparätchen ins Zimmer setzt und eine brennende Lampe dazustellt? Das Fahrzeug rollt darauf zu - aber nicht ganz. Vorher bleibt es stehen, weicht zurück, kommt von einer anderen Seite auf die Lampe zu, bleibt wieder stehen...
Wie ein Hund, der vorsichtig einen fremden Knochen umkreist. Man hat auch schon eine zweite Lampe ins Zimmer gestellt und das Maschinchen dazwischengesetzt. Es pendelte geschäftig zwischen beiden Lichtern hin und her, näherte sich mal diesem, mal jenem und verhielt sich justament wie ein unentschlossener Gast, der sich auf einer Speisekarte nicht entscheiden kann, was er nun eigentlich essen will.
Auf weitere Eigentümlichkeiten des kleinen Geräts kam man durch Zufall. Walter baute ihm ein elektrisches Lämpchen aufs Dach, das dem Beobachter anzeigen sollte, wann die Fotozelle ein Lichtsignal empfängt. Dann nämlich erlischt das Lämpchen. Als das kleine Fahrzeug ganz unbeabsichtigt vor einen Spiegel geriet, tat sich Erstaunliches. Die Fotozelle nahm das Licht des eigenen Lämpchens auf; das Ding näherte sich dem Spiegel, dabei erlosch das Lämpchen, weil die Fotozelle ja in Tätigkeit trat. Kaum aber war das Lämpchen aus, so stoppte der Stromfluß in der Fotozelle. Daraufhin leuchtete das Lämpchen wieder auf. Und so ging es weiter.
Zunächst sah man nur das Lämpchen flackern. Jeder Lichtreiz aber, den die Fotozelle über den Spiegel empfing, setzte die Motoren in Bewegung. Sie führten das Fahrzeug näher vor den Spiegel, wieder weg davon, nach links und rechts - "daher zögert das Geschöpf vor einem Spiegel und flattert und zittert und trippelt wie ein Narziß" schrieb Grey Walter, den diese ungeplante Eigentümlichkeit seines Geschöpfes aufs höchste entzückte.
Noch amüsanter wurde es, als man zwei solcher Modelle zusammenbrachte - Elmer und Elsie ("Electromechanical Robot" und "Electro Light Sensitive With Internal And External Stability"). Die beiden fuhren, angelockt durch die gegenseitigen Lämpchen, begeistert aufeinander zu, verharrten, um sich aus respektvoller Entfernung genauer zu betrachten, umkreisten einander sodann und führten schließlich zusammen reizende, höfisch-gravitätische Tänze auf.
Da Sie, lieber Leser, inzwischen ja auch Fachmann sind, wissen Sie, dass es sich bei Elmer und Elsie eindeutig um kybernetische Modelle handelt - um Maschinchen, mit denen das Verhalten von Lebewesen simuliert werden kann. Allerdings haben wir es hier mit einem Sonderfall zu tun. Es gibt kein Tierchen (zumindest kennen wir keines), das sich so oder auch nur ähnlich verhält wie Elsie und Elmer. Einzelreaktionen dieser Modelle können jedoch durchaus mit Verhaltensweisen lebender Wesen verglichen werden - und zwar mit intelligenten Reaktionen.
Das Umgehen von Hindernissen, das Umkreisen eines Partners und (was wir Ihnen bisher unterschlugen) die Rückkehr zur Steckdose, wenn die Batterie erschöpft ist und aufgeladen werden muss - sieht das etwa nicht nach intelligentem Verhalten aus? Man kann wohl guten Gewissens sagen, dass Elsie und Elmer imstande sind, bestimmte intelligente Verhaltensweisen zu simulieren. Selbst wenn sie keine wirkliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Tieren haben - als kybernetische Modelle für intelligentes Verhalten kann man sie gelten lassen.